Verteilnetze im Wandel – neue Aufgaben für die Messtechnik

Die dezentrale Energieerzeugung ist einer der Hauptgründe, die Messtechnik im Verteilnetz zu digitalisieren. Die Erneuerbaren sind aber nicht die einzige Herausforderung, die die Betreiber zu bewältigen haben. Der Artikel beschreibt die neu hinzugekommenen Aufgaben in verschiedenen Großstädten und wie sie die Betreiber gelöst haben.

Standardlastprofile, Schleppzeigerinstrumente und viel Erfahrung waren lange Zeit die wichtigsten Werkzeuge für die Planung eines Verteilnetzes. Sie reichen aber schon lange nicht mehr aus. In den Speckgürteln der Großstädte, aber auch auf Bauernhöfen erfreuen sich PV-Anlagen zunehmender Beliebtheit. In manchen Regionen übertrifft der Solar-Peak an Sommertagen die Winterstarklast. Die Netzbetreiber sind dann mehr mit Stromentsorgung als -versorgung beschäftigt. Ohne digitale und vernetzte Messtechnik sind die Verteilnetze kaum noch zu planen und zu betreiben.

Die Janitza electronics GmbH beschäftigt sich schon lange mit diesem Thema und ist dabei auf weit mehr Herausforderungen gestoßen als „nur“ die dezentrale Energieversorgung. Welche Aufgaben auf die Netzbetreiber zukommen und welche Lösungen Janitza entwickelt hat, zeigt ein Blick auf Erlangen, Stuttgart und Düsseldorf.

  • Von Big Data zum Minimalismus

    In Erlangen entwickelten die Stadtwerke vor einigen Jahren zusammen mit der dortigen Universität eine Methode, die mit einem Minimum an Messdaten ein möglichst genaues Bild des städtischen Netzes liefert. Annette Köpken, Abteilungsleiterin Netz- und Anlagenservice, war seitens der Erlanger Stadtwerke (ESTW) für das Pilotprojekt verantwortlich. Die Datenauswertung übernahm Dipl.- Ing. Dipl.-Wirt.Ing. Gaby Seifert vom Lehrstuhl für Elektrische Energiesysteme (EES) der Universität Erlangen.

    Der Ansatz der Erlangerinnen war, einen Stadtteil über einen längeren Zeitraum messtechnisch hochauflösend zu erfassen. In einem zweiten Schritt nutzte man die Daten als Referenz für Verfahren, die mit wenigen, geschickt gewählten Messpunkten und entsprechenden Algorithmen den Zustand eines Netzes hinreichend genau simulieren.

    Für das Pilotprojekt wurde der Erlanger Stadtteil „am Anger“ gewählt (Bild 1). Die Mehrfamilienhäuser dort gehören einer Wohnungsbaugesellschaft; dadurch kennt
    man die Wohnungsgrößen. Eine Studentin hat ermittelt, ob mehrere Leute oder Familien in einer Wohnung leben. Zudem gibt es überdurchschnittlich viele PV-Anlagen und einige besondere Verbraucher: eine Tankstelle, ein Studentenwohnheim und die Straßenbeleuchtung. Durch die PV-Anlagen ist der Peak im Sommer mit 820 kW fast genau so groß wie die Lastspitze von 834 kW im Winter. An sonnigen Tagen treten Rückspeisungen bis in die übergeordnete Netzebene auf. Dies unterstreicht die Bedeutung der ganzjährigen Messung; die klassische Netzplanung auf Basis der Winterstarklast ist für Netze heutzutage nicht mehr ausreichend.

  • Bild 1: Der Erlanger Stadtteil „am Anger“ ist geprägt von Mehrfamilienhäusern und überdurchschnittlich vielen Photovoltaikanlagen.
  • Bild 2: Die Messtechnik findet in einem separaten Schrank hinter den Kabelverteilern Platz. Unten rechts ist das Mastergerät, ein Janitza UMG 604, zu sehen. Per Modbus RTU sind acht UMG 103 Slaves eingebunden.
  • Um das Gebiet genau zu erfassen, verbaute die ESTW nicht nur in den Trafostationen geeignete Messtechnik, wie den UMG 511 Netzanalysator als Master und UMG 103 als Slave-Geräte. Auch sämtliche Kabelverteilerschränke wurden mit einem zusätzlichen Messschrank ausgerüstet, die von den Azubis der Stadtwerke gebaut wurden (Bild 2). Die Abgriffe an Wandlern wurden über Sicherungen geführt und durch ein Rohr an der Rückseite des Schrankes in den Messschrank geleitet.

    Mit dieser Technik erfassten Köpken und Seifert fast lückenlos die Lastflüsse von zwei Jahren im Minutentakt. So entstanden Datensätze, die weit spezifischer sind als die Standardlastprofile des BDEW. Im Minutentakt sind selbst kurze Schwankungen in der PV-Einspeisung, etwa bei bewölktem Himmel aufzulösen. Als Bewertung für die Qualität der Simulationen wurde ein Vergleich der simulierten Strom- und Spannungsverläufe mit den real gemessenen Werten vorgenommen. Dank der Aufteilung in Verbrauchergruppen mit definierten Lastprofilen und der Berücksichtigung der besonderen Kunden ließ sich eine Methodik finden, mit der die relevanten Messstellen identifiziert werden konnten.

  • Energieerfassung to go: Mobile Messboxen auf einem Festplatz

    Auch die Stuttgart Netze Betrieb GmbH wollten genaue Informationen über das Verteilnetz gewinnen. Genau wie die Erlanger Kolleginnen startete Ralf Schwollius, einer der Teamleiter für Betrieb und Instandhaltung, zunächst einen Testlauf in einem begrenzten Gebiet. Er entschied sich für ein Großereignis, das die Energieversorgung an einigen Tagen im Jahr besonders fordert: Den Cannstatter Wasen, eines der größten Volksfeste Europas (Bild 3).

    Mehr als 330 Betriebe und 35.000 Sitzplätze in den Festzelten locken vier Millionen Besucher an – und sorgen für einen Verbrauch von 1.760.000 kWh elektrischer Energie. Kritische Verbraucher sind neben den Bierzelten die großen Fahrgeschäfte, die nicht nur viel Energie benötigen, sondern das Netz zusätzlich mit Blindleistung, Oberschwingungen und Rückspeisung belasten. Eine Absicherung durch hohe Leistungsreserven stößt in Zeiten steigender Kosten und immer anspruchsvollerer Verbraucher an ihre Grenzen. Im Jahr 2015 führte deshalb die Stuttgart Netze Betrieb GmbH eine genaue Echtzeit-Analyse der Energieflüsse durch, um die vorhandenen Kapazitäten optimal zu nutzen.

  • Bild 3: Am Wasen sind die unterschiedlichsten Verbraucher zu finden: Fahrgeschäfte mit schnellen Lastwechseln und nichtlinearer Charakteristik genauso wie die riesigen Bierzelte mit Anschlussleistungen bis 600 MW.
  • Bild 4: Ein mobiler Messkoffer findet in jeder Trafostation Platz und kann nach dem Einsatz auf dem Wasen anderweitig genutzt werden. Dank Klappwandlern kann die Montage ohne Eingriff in die Installation erfolgen.
  • Da das Gelände nur in zeitlichen Abständen genutzt wird, sollten die Instrumente mobil bleiben. Deshalb entwickelten die Stuttgart Netze und Janitza gemeinsam mobile Messboxen (Bild 4). Diese erfassten sekundengenau sämtliche Lastflüsse in den zehn Ortsnetzstationen des Festgeländes, auf der einen Seite an der Einspeisung vom Trafo zur Sammelschiene, auf der anderen Seite an den Niederspannungsabgängen – bei letzteren vierpolig. Das ist wichtig, denn nur durch die Messung am PEN-Leiter lassen sich Blindströme bzw. Rückspeisungen identifizieren. Alle Messungen erfolgten über Klappwandler, die sich im laufenden Betrieb ohne eine Unterbrechung des Leiters sicher montieren und wieder entfernen lassen. Herzstück jedes Messkoffers ist wahlweise ein Klasse A Messgerät UMG 512 Pro oder ein UMG 96RM-E. Mit diesen lässt sich die Spannungsqualität im Netz erfassen sowie alle Daten dokumentieren. Unter dem Hauptgerät sind zwei Messgeräte vom Typ UMG 20CM eingebaut, die über je 20 Stromeingänge verfügen.

    Die gewonnenen Messdaten erhöhen die Versorgungssicherheit, verbessern die Störungsanalyse und eröffnen neue Geschäftsfelder: Auch die Bierzeltbetreiber sind an den Daten interessiert und bereit, dafür zu zahlen. Da die Zelte ohnehin einen eigenen Kabelverteiler und damit einen eigenen Abgang in der Umspannstation benötigen, kann die Stuttgart Netze ihnen diesen Service bieten. Alle Beteiligten profitieren von den Daten gleichermaßen. Drohende Engpässe lassen sich genauso erkennen, wie mögliche technische Probleme. Sogar schleichende Veränderungen lassen sich frühzeitig ausmachen. Mittelfristig planen Stuttgart Netze und die Netze BW, die Messtechnik flächendeckender einzusetzen. Die Technologie bringt einen großen Mehrwert sowohl für die Stabilität des Mittel- und Niederspannungsnetzes als auch für die Wiederversorgung.

  • Trafostationen in der City – Herausforderungen für den Service

    Auch in einer Großstadt wie Düsseldorf, in der Photovoltaik & Co. eine weit geringere Rolle spielen, benötigen die Netzbetreiber immer mehr Informationen: Entstörungsprozesse, Zustandsschätzungen und die Netzplanung sind hier die Technologietreiber. Fragt man Fabian Fischer vom Asset-Management der NGD (Netzgesellschaft Düsseldorf mbH), sind der Verkehr und die Zugänglichkeit der Stationen die größten Hindernisse für den Entstörungsprozess. Von den rund 2.500 Netzstationen in Düsseldorf sind 1.500 so genannte Kellerstationen im Untergeschoss von Wohngebäuden (Bild 5).

    Fällt ein Strang aus, betrifft dies ein halbes Dutzend oder mehr Stationen. Sind diese noch mit Kurzschlussanzeigern ohne Fernübertragung ausgerüstet, muss der Schaltmeister eine Station nach der anderen abfahren, bis er die angesprochenen Anzeiger findet – eine zeitraubende Prozedur, die zudem ihre Tücken hat: Tauscht der Eigentümer die Schlüsselanlage und vergisst, der NGD Bescheid zu sagen, hat der Schaltmeister zuerst einmal keinen Zutritt. Der Ausfall kann auch mitten in der Nacht sein. Und ohne Versorgung funktioniert auch die Klingel nicht. Eine digitale und vernetzte Messtechnik würde den Entstörungsprozess erheblich beschleunigen.

  • Bild 5: Eine typische Kellerstation in einem älteren Stadthaus.
  • Bild 6: Das Janitza UMG 96RM-E überzeugte durch seine vielfältigen Schnittstellen.
  • Im Jahr 2015 starteten die Düsseldorfer ein größeres Erneuerungsprogramm: 250 Stationen sollten mit neuer Messtechnik ausgestattet werden. Für die Hardware fiel die Wahl auf Janitza Messgeräte des Typs UMG 96RM-E. Neben der Messtechnik waren für diesen Einsatz besonders die Schnittstellen interessant: auf der einen Seite Modbus für den Anschluss an das Kommunikationsmodem, auf der anderen Seite ein direkter Eingang für analoge Kurzschlussanzeiger. Zur Infrastruktur gehört auch ein Kommunikationsschrank für ein Modem, die 24V-Spannungsversorgung und eine Pufferbatterie, die einen Netzausfall von einer Stunde überbrücken kann.

    Inzwischen sind rund 350 Messgeräte von Janitza installiert (Bild 6). Die NGD treibt den Ausbau voran und erwägt weitere Anwendungen, wie beispielsweise den Temperaturverlauf des Trafos über PT100-Eingang zu erfassen. Daraus könnte man beispielsweise Rückschlüsse auf das Alterungsverhalten erzielen. Die neue Messtechnik bringt auch Vorteile in der Netzplanung, die sich durch die Interpretation von Einzelstromwerten verbessern lässt. Wenn eine Station bei einer Wartungsschaltung die Leistung einer anderen mit übernimmt, hat sie rasch anstatt der normalen 200 kVA plötzlich 600 kVA. Bei digitalen Geräten mit Speichern lässt sich anhand der Historie einer Station erkennen, ob ein Peak mit so einer Wartungsschaltung zusammentrifft oder zyklisch auftritt, etwa durch ein Volksfest.

    Die Aufgaben der Netzbetreiber sind vielfältig und anspruchsvoll, ohne dass sie einen Einfluss auf die Tarifmodelle und damit auf die Lastprofile haben. Durch Unbundling sind sie noch mehr dazu angehalten, eine Infrastruktur zu liefern, die marktunabhängig funktioniert. Durch Digitalisierung der Netzstationen bekommt die Netzgesellschaft Düsseldorf die nötigen Informationen und ist für die unterschiedlichsten Szenarien gerüstet.

Janitza bleibt am Ball

Die Beispiele zeigen, wie vielfältig die Anforderungen sind, die an Janitza herangetragen werden. Und der Messtechnikspezialist reagiert nicht nur, sondern treibt die Technologie voran. Die Software GridVis ® wird ständig erweitert, um die gewonnen Daten auszuwerten, zu verteilen und zu dokumentieren. Zum Thema
EEG-Umlage beraten Techniker und spezialisierte Juristen die Anwender in Seminaren, Präsenzveranstaltungen und Webinaren. Und last but not least wird das
Produktspektrum in Richtung Blindleistungskompensation ausgebaut. Damit steht den Anwendern ein Komplettpaket aus Hardware, Software und Service zur Verfügung.

  • Bildquelle

    Martin Witzsch

  • Autor

    Dipl.-Phys. Martin Witzsch
    Freier Journalist im Auftrag von der Janitza electronics GmbH
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    Janitza electronics GmbH
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