Die Energiewende sozialverträglich gestalten

Die Energiewende im privaten Sektor ist immer noch stark durch die Vorstellung von exklusiven Einfamilienhäusern mit PV-Anlage und eigener Ladesäule geprägt – eine Nische nur für Gutverdiener. Zwickau will damit aufräumen. Im Stadtteil Marienthal mit seinem großen Bestand an Mehrfamilienhäusern aus DDR-Zeiten wird an einer gleichermaßen innovativen wie sozialverträglichen Lösung gearbeitet. Basis sind umfangreiche Messungen von Strom- und Wärmeverbräuchen im Sekundentakt.

  • „Wenn Ingenieure und Soziologen aufeinandertreffen, will man erst mal flüchten. Aber nach kurzer Zeit lernt man voneinander“, fasst Dipl.-Ing. (FH) Kevin Steiner seine Erfahrungen zusammen. Als Mitarbeiter an der Fakultät Elektrotechnik der Westsächsischen Hochschule Zwickau ist er Projektingenieur beim Projekt ZED (Bild 1). Dessen Ziel ist es, ein nahezu Null-Emissions-Quartier zu realisieren, das sowohl energieeffizient als auch sozial gerecht ausgestaltet ist. Deshalb wird es von gleich zwei Ministerien gefördert: dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Dazu kommen mehrere Kooperationspartner. Darunter sind nicht nur Universitäten, Energieversorger und Technikunternehmen, sondern auch Wohnungsbaugesellschaften und sogar Organisationen wie die Johanniter. Diese ungewöhnliche Mischung ist der Struktur des Stadtviertels geschuldet.

  • Bild 1: Projektingenieur Kevin Steiner, Diplomand Lukas Wechselberger, Projektkoordinator Sven Leonhardt und Kay Seidl von Janitza (v.l.n.r.) im interdisziplinären Fachzentrum „ubineum“.
  • Bild 2: Der Zwischenschritt von der Planung zur Serienreife: Ein Versuchsaufbau mit dezentralen Wärmespeichern
  • Ein Altbestand als Blaupause

    Der Stadtteil Marienthal ist geprägt von gut erhaltenen und gepflegten 4–5-stöckigen Mehrfamilienhäusern, die von Wohnungsbaugesellschaften vermietet werden. Die Bewohner bewerten die Lebensqualität positiv, nicht zuletzt wegen der vielen Grünflächen – keine gehobene Wohngegend, aber auch kein Sanierungsfall. Der Projektkoordinator Sven Leonhardt beschreibt die Situation: „Die Gebäude sind fast alle noch im Erstbezug. Es sind DDR-Typenbauten und deshalb entsprechend verbreitet. Solche fast baugleichen Quartiere findet man auch in Jena, Borna und anderen Städten der ehemaligen DDR. Es gibt aber auch vergleichbare Viertel in vielen westdeutschen Städten.

    Deshalb ist es wichtig, sich mit damit zu befassen. Die Energiewende kann man nur zu einem kleinen Teil durch Neubauten regeln, der Großteil ist Bestand. Unser Quartier ist repräsentativ und skalierbar. Das ist eine Riesenchance für unser Projekt.“ Steiner ergänzt: „Es wurde mit Absicht etwas relativ
    Schwieriges ausgesucht. Der Altersdurchschnitt ist hoch. Da passen die üblichen Standardlastprofile nicht, weil die Leute auch tagsüber oft zu Hause sind. Der Verbrauch ist nicht unbedingt höher, aber die Zeiten verschieben sich. Aus der Untersuchung können wir Rückschlüsse ziehen, die auf viele Wohngebiete zutreffen.“

  • Bild 3: Die Mobilitätsstation mit Scooter-Verleih
  • Die Erneuerbaren bändigen

    Es gilt also, die Energiewende nach Marienthal zu bringen, ohne die Beteiligten zu überfordern. Ein vielversprechender Ansatz ist die so genannte Sektorenkopplung.
    Die Idee, verschiedene Versorgungssysteme zu koppeln, weckt zunehmend das Interesse der Energiewirtschaft und der Industrie. Dort wird viel mit Kraftwärmekopplung, Wärmepumpen und E-Mobilität experimentiert.

    Auch die Zwickauer setzen für ihre sozialverträgliche Energiewende auf die Sektorenkopplung von Strom und Wärme in Verbindung mit lokalen Speichern. Derzeit testen sie verschiedene Kombinationen von zentralen und dezentralen Speicher. Eine Schlüsselrolle übernimmt dabei das intelligente Wärmenetz: Im klassischen Verteilnetz sind Transmissionsverluste relativ groß, da durchgehend warmes Wasser durch eine Ringleitung fließt. In Marienthal werden Wohnblöcke mit dezentralen Speichern ausgerüstet, in die Warmwasser aus einem Zentralspeicher als „Paket“ gepumpt wird (Bild 2).

    Danach wird die Leitung wieder mit Kaltwasser geflutet. Verfügt man über hinreichend genaue Verbrauchsprognosen, kann man sowohl für das Heizen des Zentralspeichers durch Wärmepumpen als auch für die Verteilung auf die dezentralen Speicher genau dann elektrische Energie einsetzen, wenn diese im Überfluss zur Verfügung steht. Somit kann man an einem sonnigen Wintertag die dezentralen Speicher tagsüber aufladen und am Abend und in den Morgenstunden mit sehr geringen Transmissionsverlusten die Wohnungen heizen. Leonhardt: „Die Elektrotechnik ist das Bindeglied zwischen allen Bereichen. Die regenerative Energie, Wärmepumpen, E-Mobilität usw. sind eng vernetzt. Das ist sozusagen der Sektorkoppler.“

    Man erhofft sich davon, das Delta zwischen Kaltmiete und Energiekosten zu verschieben, so dass die Wohnungsbaugesellschaften profitieren und sie zugleich den Bewohnern ohne höhere Gesamtkosten den gewohnten Komfort oder sogar noch Verbesserungen bieten können. Auch der Energieversorger profitiert: Für ihn eröffnen sich neue Möglichkeiten bei der Zusammenarbeit mit den Wohnungsbaugesellschaften. Um diese richtig zu nutzen, muss man neben technischen Gegebenheiten auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aspekte mit einbeziehen.

  • Scooter statt Tesla – die altersgerechte Energiewende

    Zwickau ist ein Mietermarkt. Im Stadtteil Marienthal sind außerdem viele Bewohner in Rente und können schlicht keine höheren Preise für die Energiewende zahlen. Auch ihren Stromverbrauch können sie trotz LED-Technik und energiesparenden Geräten nicht signifikant reduzieren, da sie viel Zeit zu Hause verbringen. Deshalb muss die technische Umsetzung warmmietenneutral erfolgen. Aber die Energiewende gelingt nicht ohne Investitionen, wobei die Wohnungen auch noch altersgerecht werden müssen. Dazu gehören Aufzüge, moderne Elektronanlagen und die passende Kommunikationstechnik. Zudem dürfen die Investitionen nicht an der Zielgruppe vorbeilaufen. Ein Induktionsherd kann sinnvoll sein; eine Hitec-Automatisierung mit Dashboard für das Smartphone weniger.

    Auch die E-Mobilität spielt eine wichtige Rolle, allerdings in ungewohnter Form. Statt Ladesäulen für E-Autos gibt es die Mobilitätsstation Marienthal (Bild 3). Dort kann man Scooter, führerscheinfreie Fahrzeuge, für die letzten Kilometer zum Einkaufen mieten. Die Nutzer müssen weder den hohen Erstinvest aufbringen, noch müssen sie sich um eine Park- und Lademöglichkeit kümmern. Trotzdem gewinnen sie in ihrem Viertel an Mobilität. Auch die Wohnungsgesellschaft profitiert, da sie keine Parkboxen installieren muss. Das Tagesgeschäft der Ausleihe könnte sogar ein Pflegedienst übernehmen. Für ihn ist es günstiger, geeignete Kunden mit dem Scooter vertraut zu machen, als sie per Verbrenner zur Fußpflege, zum Arzt oder zum Seniorentreff zu fahren. Und die Nutzer bleiben länger unabhängig.

    Bleibt die Frage, wer die Kosten übernimmt. Es ist offensichtlich, dass diese Aufgabe nur durch die Zusammenarbeit aller Beteiligten, vor allem der Wohnungsbaugesellschaften und der Energieversorger, zu lösen ist. Die meiste Flexibilität verspricht die Sektorenkopplung von Strom und Wärme. Sie bietet viele Möglichkeiten zum Speichern von Energie und eröffnet zugleich neue Geschäftsmodelle.

  • Zwickau 4: Das Janitza UMG 801 wird im Projekt ZED eine zentrale Rolle spielen (5231001-5231201-umg801-mit-800ct8a-r-c-en1)

Neue Geschäftsmodelle: Der Energieversorger als Kontraktor

Die Sektorenkopplung schafft überraschende Verbindungen, sowohl technisch als auch wirtschaftlich. Leonhardt bringt es auf den Punkt: „Man speichert Strom als Wärme. Dem Energieversorger, der viel dafür bezahlt, Strom abzunehmen und einzuspeisen, verschafft das eine hohe Flexibilität.“ Das erfordert eine enge Zusammenarbeit mit der Wohnungsbaugesellschaft: „Aktuell überlegen wir, wer macht was. Wer baut die Energiezentrale, wer betreibt sie? Und wir suchen nach Synergien,“ schildert Leonhardt den Stand der Dinge.

Möglichkeiten gibt es viele. So kann das Energieunternehmen zum Kontraktor werden, zum Dienstleister für das Wohnungsunternehmen. Es kann die gesamten Abrechnungen übernehmen, dafür konzentriert sich das Wohnungsunternehmen auf sein Kerngeschäft. Der Endkunde spürt nichts von diesen Prozessen. Er behält seine Ansprechpartner und bekommt durch Wärmemengen- und Stromzähler eine genaue Abrechnung über seinen Verbrauch. Allerdings kann er zukünftig von zusätzlichen Dienstleistungen profitieren. Unabdingbar für den Erfolg des Modells sind belastbare Aussagen über Verbräuche und Kosten sowie universelle Schnittstellen.

Damit die Zusammenarbeit funktioniert, brauchen alle Beteiligten einen gemeinsamen Datenpool: Wie sieht das Lastprofil eines Rentnerehepaares aus? Wie warm möchten sie ihre Wohnung haben? Welche Kosten verursacht das Aufheizen eines dezentralen Wärmespeichers? Wie viele Scooter werden gleichzeitig benötigt? Und verursachen deren Ladegeräte Störungen im Netz? Ohne feingranulare und einfach zugängliche Daten ist eine Zusammenarbeit nicht vorstellbar. Deswegen benötigt man in Marienthal eine entsprechend engmaschige Messtechnik für die Verteilebene, denn dort sind die Umwälzungen besonders signifikant. „Die Frage ist, was passiert im Niederspannungsnetz: Wir haben, bzw. bekommen zukünftig PV-Anlagen, Solarthermie, Ladegeräte, Lifte, Induktionsherde, Kommunikationsgeräte usw. Besonders genau müssen wir die großen Wärmepumpen analysieren,“ beschreibt Steiner die Bandbreite. Als Favorit für diese Anforderungen erwies sich bald die Messtechnik von Janitza. Steiner begründet die Wahl: „Bei der Marktrecherche für die Messtechnik wurde schnell klar, dass Janitza in vielen Aspekten marktführend ist, besonders für die zahllosen Messungen, die wir brauchen. Außerdem ist das System sehr flexibel; wir können an vielen Stellen andocken. Deswegen haben wir mit Janitza Kontakt aufgenommen.“ Ein zusätzlicher Pluspunkt: Janitza war bereits am Vorgängerprojekt WindNODE beteiligt. Auch dort waren die Potenziale der Sektorenkopplung in Nordostdeutschland ein Thema.

Fakten, Fakten, Fakten

Für erste Testmessungen war das Janitza UMG 801 im Einsatz (Bild 4). Kay Seidl vom Vertriebsaußendienst umreißt die wichtigsten Merkmale: „Das Gerät kann Spannungsqualität und Energie erfassen. Es ist durch Module erweiterbar, so dass es sich jederzeit an Anforderungen anpassen lässt, die erst im Lauf des Projektfortschritts auftauchen. Es bietet ausreichend Kapazität um große Datenmengen zwischenzuspeichern und einen schnellen Prozessor für den Datenaustausch. Die Konfiguration kann über OPC UA erfolgen. Wärmemengenzähler oder andere Sensoren lassen sich über Modbus RTU einkoppeln.“ Die Leistungsreserven des Geräts werden dringend benötigt, wie Steiner erläutert: „Wir reden bei den Wärmemengenzählern vor Ort schon jetzt von einem 15 min-Takt, und das ist schon schnell. Zur Beurteilung der Netzqualität und der Netzzustände, Spitzen usw., muss die Taktung jedoch noch weiter hoch. Wir haben zig Messstellen im Quartier, die wir ALLE im Sekundentakt erfassen und verarbeiten müssen.“ Allein die Menge der zu erfassenden Daten ist enorm, dazu kommen Übertragung und Verarbeitung. Steiner resümiert: „Wir betreiben keine Grundlagenforschung. Im Vordergrund steht für uns die Umsetzung und Anpassung an die Quartiere. Deshalb sind für uns Kooperationspartner wie Janitza, mit denen wir etwas Neues ausprobieren können, sehr wichtig. Wir haben dort direkte Ansprechpartner, denen wir Rückmeldungen über die Geräte geben und wissen, dass das im Unternehmen ankommt und eventuell in die nächste Gerätegeneration einfließt.“

Die Energiewende in Marienthal ist bereits im vollen Gang. Die Mobilitätsstation hat den Betreib aufgenommen und in dem interdisziplinären Fachzentrum „ubineum“ wird zur Speichertechnik geforscht. Dass das Konzept funktioniert, haben erste Testmessungen mit Janitza-Geräten gezeigt. Somit sind die Weichen für einen Ausbau der Infrastruktur gestellt. In einigen Jahren wird so ein Modell entstehen, das für viele weitere Städte genutzt werden kann.

  • Autor

    Dipl.-Phys. Martin Witzsch
    Freier Journalist im Auftrag der Janitza electronics GmbH
    Haßfurter Str. 20, 91056 Erlangen
    Telefon: +49 (0) 9131-9266725
    E-Mail: info@witzsch.com

  • Pressekontakt

    Janitza electronics GmbH
    Frau Sandra Silbach
    PR-Fachredakteurin
    Vor dem Polstueck 6 – 35633 Lahnau – Germany
    Telefon: +49-6441-9642-158
    E-mail: sandra.silbach@janitza.de
    Web: www.janitza.de

  • Kontakt für Leser

    Janitza electronics GmbH
    Mail: info@janitza.de
    Web: www.janitza.de